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Oberlandesgericht München Urteil vom 29.07.2010

Schlechterstellung des Versicherungsagenten nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung kann den Versicherungsagenten berechtigen, das Agenturverhältnis fristlos zu kündigen.

Es muss immer wieder festgestellt werden, dass Versicherungsagenten nachdem sie das Agenturverhältnis ordentlich gekündigt haben bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gezielt benachteiligt, beeinträchtigt oder in ihrer Tätigkeit behindert werden. Das OLG München hat in der nachstehend besprochenen Entscheidung einem Versicherungsagenten in diesem Fall das Recht zur fristlosen Kündigung eingeräumt. Auch wenn die Bestätigung des Vorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes im Sinn des § 89 a HGB immer eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles darstellt, enthält das Urteil des OLG München Gründe, die auch für vergleichbare Fälle gelten. Es gibt überwiegend nur Gerichtsentscheidungen, die sich mit Unternehmerkündigungen befassen, da fristlose Kündigungen meistens durch die Versicherungsunternehmen ausgesprochen werden. Die Entscheidung ist auch deshalb beachtlich, da es kaum höchstgerichtliche Entscheidungen über eine fristlose Kündigung des Versicherungsagenten gibt.

1. Der Fall:

Der Versicherungsagent war seit 1991 als Versicherungsagent für das Versicherungsunternehmen tätig. Dem Versicherungsagenten wurde in den letzten Jahren ein Rabattkontingent zur Verfügung gestellt, nach welchem er Kfz-Versicherungen jeweils mit einem Rabatt von 25 % anbieten dürfte. Mit Schreiben vom 26.03.2008 kündigte der Versicherungsagent sein Agenturvertragsverhältnis ordentlich zum 31.12.2008. Auch nach Ausspruch seiner Kündigung hat der Versicherungsagent noch zahlreiche Kfz-Versicherungen mit dem Rabatt von 25 % vermittelt. Im Juni 2008 wurde der Versicherungsagent von zwei Kunden, denen er soeben eine Kfz-Versicherung mit dem 25 %igen Rabatt vermittelt hat, angerufen, da die Versicherung die Versicherungspolice ohne den Rabatt ausgestellt hat. Mit anwaltlichem Schreiben vom 04.07.2008 wurde das Versicherungsunternehmen deshalb aufgefordert, den bisher gewährten Rabatt auch weiterhin bis zum Vertragsende zur Verfügung zu stellen, wobei dieses Schreiben auch eine Abmahnung enthält, aus welcher sich ergibt, dass das Vertragsverhältnis anderenfalls fristlos gekündigt wird. Das Versicherungsunternehmen erwiderte hierauf mit Schreiben vom 25.07.2008, in welchem mitgeteilt wird, dass die Filialdirektion München entschieden hat, Agenturen im gekündigten Vertragsverhältnis kein Rabattkontingent mehr zur Verfügung zu stellen. Der Versicherungsagent kündigte daraufhin das Vertragsverhältnis fristlos mit anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2008. Eine von dem Versicherungsunternehmen beantragte einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Tätigkeit für ein konkurrierendes Unternehmen wurde vom Landgericht Traunstein und in der Berufungsinstanz vom Oberlandesgericht München zurückgewiesen. Die daraufhin von der Versicherung eingereichte Feststellungsklage, in welcher die Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Versicherungsagenten begehrt wird, wurde vom Landgericht Traunstein nach Durchführung einer Beweisaufnahme zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht München nun mit Urteil vom 29.07.2010, Az.: 23 U 4893/09, nach erneuter Anhörung von Zeugen zurückgewiesen, da die fristlose Kündigung des Versicherungsagenten nach Auffassung des OLG München berechtigt gewesen ist.

2. Die Entscheidungsgründe:

Es widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB –so das Oberlandesgericht München- wenn das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsagenten nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung weiterhin am Vertrag festhält, ihm andererseits aber entgegen der bisherigen vertraglichen Übung kein Rabattkontingent mehr einräumt und damit erheblich in seinen Verdienstmöglichkeiten beschränkt. Die vom Versicherungsagenten ausgesprochene ordentliche Kündigung stellt keinen ausreichenden Grund dar, ihn ab diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die Rabatte schlechter zu behandeln als bisher. Der Verhalten des Versicherungsunternehmens stellt eine Verletzung der allgemeinen Unterstützungspflicht und der allgemeinen Rücksichtspflicht aus § 86 a I HGB dar. Zwar obliegt es dem Versicherungsunternehmen grundsätzlich den eigenen Betrieb so einzurichten und zu gestalten, wie es wirtschaftlich vernünftig und sinnvoll erscheint, es darf sich dabei aber nicht willkürlich und ohne einen vertretbaren Grund über schutzwürdige Belange des Versicherungsagenten hinwegsetzen. Sachgerechte Gründe für eine Schlechterstellung des Versicherungsagenten sind allein durch die Tatsache, dass das Versicherungsagenturvertragsverhältnis gekündigt ist, nicht ersichtlich. Es steht dem Versicherungsunternehmen frei den Versicherungsagenten freizustellen, wenn sie auf dessen Mitarbeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist keinen Wert mehr legt. Sofern eine Freistellung nicht erfolgt, dürfen die Arbeitsbedingungen des Versicherungsagenten nicht nur aufgrund der ausgesprochenen Kündigung verschlechtert werden.

3. Ausblick:

Dieses erfreuliche Urteil stärkt nicht nur die Rechte des Versicherungsagenten, die im Einzelfall nach Ausspruch ihrer Kündigung konkret und gezielt behindert oder beeinträchtigt werden, sondern kann in den tragenden Entscheidungsgründen sicherlich auch auf vertragliche Gestaltungen angewendet werden, die dem Versicherungsagenten nach Ausspruch einer Kündigung erheblich wirtschaftlich beeinträchtigen, wie z. B. den vertraglich geregelten Wegfall von Vergütungsbestandteilen ab dem Zeitpunkt des Ausspruchs einer Kündigung.

Erstritten von Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht
Kanzlei Rechtsanwälte Dr. Heinicke, Eggebrecht, Ossenforth & Kollegen, München