Neues zum Entschädigungsanspruch bei Beendigung des Handelsvertretervertrages
1. Einleitung
Das Urteil des House of Lords in Sachen Londsdale v Howard & Hallam Ltd vom 04.07.2007 ([2007] UKHL 32) bedeutete eine maßgebliche Wende im englischen Handelsvertreterrecht: das Gericht erteilte dem bisher angewandten französischen System der Entschädigung in Höhe von zwei Jahresprovisionen eine Absage und entschied, dass sich die Höhe des Entschädigung-sanspruchs nach Beendigung eines Handelsvertretervertrages gemäß Vorschrift 17 (6) der Commercial Agents (Council Directive) Regulations 1993 (CAR) nach dem effektiven Schaden bemisst, den der Handelsvertreter aufgrund der Beendigung des Vertragsverhältnisses erleidet.
Grundlage für die Schadensbemessung soll nach Ansicht des House of Lords der ‘Goodwill’ des Handelsvertretergeschäfts sein. Dieser findet Ausdruck in dem (hypothetischen) Kaufpreis, den der Handelsvertreter hätte erzielen können, wenn er sein Geschäft zum Zeitpunkt der Vertrags-beendigung verkauft hätte, wobei von der (hypothetischen) Übertragbarkeit des Geschäfts auszu-gehen ist.
Offen ließ die Lonsdale-Entscheidung aber noch, wie dieser hypothetische Wert des Handelsvertretergeschäfts konkret zu bestimmen ist. Zwei insoweit wegweisende Entscheidungen haben sich in den Jahren 2008 und 2009 mit der Wertberechnung auseinandergesetzt; bemerkens-werterweise jeweils in einem obiter dictum, da in beiden Fällen ein Ersatzanspruch des Handelsvertreters nach Ansicht des Gerichts bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen war. Im Jahr 2010 wurden die Vorgaben der beiden obiter dicta schließlich zum ersten Mal in die Praxis umgesetzt (siehe McQuillan-Entscheidung unter 4.).
2. Entscheidung in Sachen Nigel Fryer Joinery Services Limited & Nigel Fryer v Ian Firth Hardware Limited [2008] EWHC 767 (Ch)
In der Entscheidung Fryer v Ian Firth Hardware Limited vom 23.04.2008 machte ein Gericht zum ersten Mal seit dem Londsale-Fall Ausführungen zur Durchführung der nötigen hypothetischen Bewertung des Handelsvertretergeschäfts: In einem ersten Schritt sei der durchschnittliche jährliche Gewinn des Handelsvertretergeschäfts nach Abzug von Unkosten und Steuern zu er-rech-nen. Hiervon seien zudem ggf. anfallende Vergütungskosten für den Handelsvertreter selbst oder ähnliche Entgeltzahlungen abzuziehen, deren Höhe sich an der Durchschnittsvergütung vergleichbarer Beschäftigter orientiere. In einem zweiten Schritt sei anschließend zu prüfen, ob und zu welchem Preis ein hypothetischer Käufer tatsächlich bereit gewesen wäre, das Geschäft im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung zu erwerben. Einer der bestimmenden Faktoren könne insoweit die Geschäftstätigkeit in einem aufstrebenden oder rückläufigen Markt sein.
3. Entscheidung in Sachen Alex Berry v Laytons and B.G. Jones [2009] EWHC 1591 (QB)
Auch in dieser Entscheidung vom 03.07.2009 erörterte das Gericht in einem obiter dictum, wie die Höhe des Entschädigungsanspruchs unter Berücksichtigung des Urteils im Fall Lonsdale er-mittelt werden sollte: Das Handelsvertretergeschäft werde auf Grundlage dessen bewertet, was ein hypothetischer Käufer für die jährlichen Provisionen des Geschäfts abzüglich der Be-triebskosten zahlen würde. Ebenso wie im Fall Fryer v Ian Firth Hardware Limited sprach sich das Gericht dafür aus, den Gewinn des Geschäfts zudem um die Vergütungskosten für ver-gleichbares Personal zu verringern.
Der so ermittelte Gewinn sei ggf. mit einem von den tatsächlichen Gegebenheiten abhängigen Multiplikator zu vervielfachen, um den Übergang von Exlusivrechten und/oder ein absehbares Geschäftswachstum angemessen zu berücksichtigen. Es sei in diesem Zusammenhang prinzi-piell auch denkbar, drohenden Wettbewerb durch einen anderen Handelsvertreter als ‘negativen Faktor’ zu berücksichtigen.
Im konkreten Fall betrug der jährliche Gewinn des Handelsvertretergeschäfts etwa £ 200.000. Hiervon waren die Lohn- und Bürokosten abzuziehen. Dies war insoweit problematisch, als der Handelsvertreter im Rahmen mehrerer Verträge für verschiedene Auftraggeber tätig war. Die entsprechenden Ausgaben für die verschiedenen Handelsvertretergeschäfte wurden nach den jeweiligen Anteilen an Umsatz, Kosten sowie Zeit- und Arbeitsaufwand für den Handelsvertreter abgegrenzt. Der anschließend errechnete Gewinn vor Steuern wurde mit einem Multiplikator zwischen 4 und 4,5 vervielfacht, um das Wachstum des Handelsvertretergeschäfts zum Ausdruck zu bringen. Der angemessene Wert des Handelsvertretergeschäfts lag nach Auffassung des Gerichts nach Abzug der Steuern bei ungefähr £ 500.000.
4. Entscheidung in Sachen Michael and Lorna McQuillan v Darren McCormick, Wizzeweb Limited and Pandora Jewelry Limited [2010] EWHC 1112 (QB)
Die oben dargelegten Grundsätze zur Bestimmung des hypothetischen Kaufpreises für das Handelsvertretergeschäft wurden schließlich am 17.05.2010 in der Rechtssache McQuillan bestätigt und zum ersten Mal in die Praxis umgesetzt: Die Eheleute McQuillan verkauften als Subunter-nehmer von Herrn McCormick Schmuck der Marke Pandora. Der Handelsvertretervertrag wurde nicht schriftlich festgehalten, insbesondere wurde keine Kündigungsfrist vereinbart, so dass die gesetzlichen Mindestfristen nach Vorschrift 15 CAR Anwendung fanden. Herr McCormick selbst hatte im Jahr 2005 einen Vertriebsvertrag mit dem dänischen Unternehmen Pandora Jewelry A/S abgeschlossen, der eine vertragliche Kündigungsfrist von einem Jahr vorsah. Am 02.02.2008 kündigte Herr McCormick den Handelsvertretervertrag außerordentlich. Die Eheleute McQuillan klagten gegen diese Kündigung und verlangten u.a. Entschädigung nach Vorschrift 17 CAR.
Beide Parteien hatten Sachverständige benannt, die das Handelsvertretergeschäft mit ingesamt £ 179.541 – £ 285.746 (für den Fall der Nicht-Exklusivität des Geschäfts) bzw. £ 215.449 – £ 342.895 (für den Fall der Exklusivität) bewerteten. Hinsichtlich der Ermittlung des Wertes hatten sich die beiden Sachverständigen auf folgendes Vorgehen geeignet: In einem ersten Schritt er-rechneten sie den jährlichen Nettogewinn abzüglich Betriebskosten und multiplizierten diesen mit 1,5 zur Berücksichtigung des Geschäftswachstums. Zudem multiplizierten sie die Gewinne aus Exklusivrechten mit 3,0 und die Gewinne aus sonstigen Rechten mit 2,5. Anschließend re-duzier-ten die Sachverständigen den so errechneten Wert um 25%, um unter anderem dem Fehlen einer schriftlichen Vereinbarung sowie der drohenden Beendigung des Vertriebsvertrages zwischen Pandora Jewelry A/S und Herr McCormick Rechnung zu tragen.
Das Gericht selbst stufte das Handelsvertretergeschäft zwar als exklusives ein, wich in seiner Entscheidung zum Entschädigungsanspruch aber erheblich von den Berechnungen der Sach-verständigen ab: Das Fehlen einer schriftlichen Vereinbarung hatte seiner Einschätzung nach keine Auswirkungen auf den Wert des Handelsvertretergeschäfts. Auch die (gesetzliche) Kün-digungsfrist für den Handelsvertretervertrag beeinflusste nach den in der Lonsdale-Entscheidung dargelegten Grundsätzen den Wert des Handelsvertretergeschäfts nicht. Demgegenüber sah es das Gericht jedoch als besonders kritisch an, dass der auch für die Durchführung des Handelsvertretervertrags letztlich maßgebende Vertriebsvertrag zwischen Pandora Jewelry A/S und Herr McCormick mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr beendet und damit gleichzeitig auch den Eheleuten McQuillan als Handelsvertretern nur für diese Zeitspanne ein Gewinn garantiert werden konnte. Das heißt, die mögliche Kündigung des Vertriebsvertrages war als wertbestimmender äußerer Faktor für den Handelsvertretervertrag anzusehen, da sie diesen faktisch wertlos machen würde. Im Rahmen der hypothetischen Bewertung des Geschäfts hielt es das Gericht mithin für unwahrscheinlich, dass ein potentieller Käufer mit Blick auf die drohende Beendigung des Vertriebsvertrages mehr als die von den Sachverständigen errechnete Jahresprovision von £ 149.000 für das Handelsvertretergeschäft zahlen würde und sprach den Eheleuten McQuillan nur einen Entschädigungsanspruch in Höhe von £ 150.000 zu.
5. Schlussbemerkungen
Abschließend ist festzuhalten, dass nicht nur diejenigen Handelsvertreter von der Londsdale-Entscheidung und den Folgeurteilen profitieren werden, die darlegen können, dass sie zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung steigende Gewinne erwarteten, sondern auch diejenigen Un-ternehmer, die z.B. Vertriebsverträge mit kurzen Kündigungsfristen abgeschlossen haben.
Insbesondere die Entscheidung in Sachen McQuillan ist insoweit wegweisend. Das Urteil ist zwar nur vor dem High Court ergangen und entfaltet als solches keine Bindungswirkung für andere Gerichte, setzt aber ein gewisses Signal zugunsten der Unternehmer im Hinblick auf die ständig im Wandel befindliche Auslegung der Vorschriften des Handelsvertreterrechts in Großbritannien. Ob die McQuillan-Entscheidung, wie von einigen bereits prophezeit, tatsächlich zu einer grundlegenden Rechtsprechungsänderung führen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen, insbesondere da die Entscheidung durch den speziellen Fall der Abhängigkeit des Handelsvertretervertrages vom darüber liegenden Vertriebsvertrag geprägt ist. Sicher ist jedenfalls, dass auch dieses Urteil keinen Schlusspunkt bei der Entwicklung des Handelsvertreterrechts darstellt.
Der Richterspruch könnte aber in jedem Falle zu einer Änderung der Beratungspraxis führen. Bisher war ein Unternehmer aus Gründen der Rechtssicherheit und der finanziellen Absicherung oftmals gut beraten, im Handelsvertretervertrag selbst entsprechend Vorschrift 17 (2) CAR den gedeckelten Schadensersatzanspruch (indemnity) im Sinne von Vorschrift 17 (4) CAR als Rechtsfolge der Beendigung des Handelsvertretervertrages vertraglich zu vereinbaren und so eine möglicherweise höhere – grundsätzlich unbegrenzte – Entschädigung (compensation) zu vermeiden. Nunmehr kann im Einzelfall eine Entschädigungszahlung die attraktivere Option für den Unternehmer sein, wenn er gleichzeitig einen Vertriebsvertrag mit einer kurzen Kündigungsfrist abgeschlossen hat. Die anwaltliche Beratung vor Abschluss eines Handelsvertretervertrages wird sich in Zukunft wohl am konkreten Einzelfall orientieren müssen. Während des Prozesses wird es mit Blick auf die Komplexität der hypothetischen Berechnungen immer häufiger erforderlich werden, fachkundige Wirtschaftsprüfer bei der Ermittlung des Entschädigungsanspruchs einzubeziehen.
Mitgeteilt von Andrew Kaufman, Partner bei Fladgate LLP, London