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Unwirksamkeit eines als Handelsvertretervertrag bezeichneten Exklusivliefervertrages mit einem Tankstellenpächter wegen Verstosses gegen europäisches Wettbewerbsrecht

(Urteil des Tribunal Supremo, Madrid vom 15. Januar 2010)

Sachverhalt (Klage, Klageerwiderung, Widerklage)

Am 12. November 2002 erhob die spanische Mineralölgesellschaft REPSOL vor dem Gericht Erster Instanz Nr. 4 von Pamplona Klage auf Feststellung der Rechtmässigkeit der Kündigung des im Jahre 1993 mit einem Tankstellenpächter geschlossenen Exklusivliefervertrages, weil dieser seine vertraglichen Pflichten verletzt habe. Der Tankstellenpächter hatte Kraftstoff eines anderen Treibstoffhändlers verkauft. Die Klägerin beantragte darüberhinaus den Tankstellenpächter zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 267.000,– Euro wegen entgangenem Gewinn zu verurteilen.

Der Tankstellenpächter erwiderte auf die Klage und erhob Widerklage. Er beantragte, festzustellen, dass der streitgegenständliche Exklusivliefervertrag wegen Verstosses gegen das europäische Wettbewerbsrecht nichtig sei. Er berief sich hierzu auf Artikel 81.1 des Vertrages von Amsterdam (ehemals Artikel 85 EG-Vertrag) in Verbindung mit den Gruppenfreistellungsverordnungen 1984/83 und 2790/99. Darüber hinaus sei der Vertrag auch nach spanischem Zivilrecht nichtig, da die Bestimmung des vom Tankstellenpächter an REPSOL zu zahlenden Preises in das freie Ermessen von REPSOL gestellt gewesen sei. Er verlangte daher gemäss Artikel 1306 Código Civil die Rückgewährung der gegenseitig erbrachten Leistungen. Ihm stünde insoweit die Zahlung eines Betrages zu, der der Differenz zwischen dem Treibstoffpreis, der ihm von anderen Händlern angeboten worden sei und dem Preis, den er an REPSOL tatsächlich gezahlt habe abzüglich abgerechneter Provisonen entsprechen müsse.

Erstinstanzliche Entscheidung

Das Gericht Erster Instanz wies die Ausgangsklage von REPSOL ab. Der mit dem Tankstellenpächter geschlossene Exklusivliefervertrag habe gegen die erwähnten gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften verstossen und sei daher als nichtig zu betrachten gewesen. Es gab somit der Widerklage des Tankstellenpächters teilweise statt, verurteilte REPSOL aber nicht zur Zahlung der geltendgemachten Entschädigung.

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte REPSOL Berufung zum Provinzgericht Navarra ein und der Tankstellenpächter erhob wegen der nicht zugesprochenen Entschädigung Anschlussberufung.

Berufungsurteil

Das Provinzgericht gab der Berufung von REPSOL statt und erklärte die Kündigung des Vertragsverhältnisses wegen Verstosses gegen die Exklusivabnahmevereinbarung für rechtmässig, lehnte jedoch den geltendgemachten Schadensersatzanspruch mangels ausreichendem Nachweis ab. Die Anschlussberufung wurde somit ebenfalls zurückgewiesen, da das Provinzgericht keine Nichtigkeit wegen Verstosses gegen das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht sah. Das Provinzgericht gelangte im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung mittels Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Tankstellenpächter – wie im Vertrag bezeichnet – tatsächlich um einen Handelsvertreter und nicht um einen „Wiederverkäufer“ gehandelt habe. Deshalb läge auch kein Verstoss gegen die hier einschlägige Verordnung 1984/83 vor.

Beide Parteien legten Kassationsbeschwerde zum Tribunal Supremo ein. Allerdings wurde nur die Kassationsbeschwerde des Tankstellenpächters vom Tribunal Supremo zur Entscheidung angenommen.

Das am 15. Januar 2010 ergangene Urteil des Tribunal Supremo gab der Kassationsbeschwerde des Tankstellenpächters statt. Es „kassierte“ die Entscheidung des Provinzgerichts Navarra und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

Begründung der Entscheidung des Tribunal Supremo

Der Tribunal Supremo stützte sich bei seiner Entscheidung insbesondere auf die vom Europäischen Gerichtshof anlässlich verschiedener Vorlagen durch spanische Gerichte entwickelte „Tankstellenpächter-Rechtsprechung“:

  • Urteil vom 14. Dezember 2006 in der Rechtssache C-217/05 auf Vorlage des spanischen Tribunal Supremo;
  • Urteil vom 11. September 2008 in der Rechtssache C-279/06 auf Vorlage des Provinzgerichts Madrid;
  • Urteil vom 2. April 2009 in der Rechtssache C- 260/07 auf Vorlage des Provinzgerichts Barcelona.

Unverhältnismässig hohes Finanz- und Geschäftsrisiko

Der oberste spanische Gerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass der Tankstellenbetreiber im vorliegenden Fall ein unverhältnismässig hohes Finanz- und Geschäftsrisiko trage. So haftete der Tankstellenbetreiber für Zahlungen mit Kreditkarten; d.h. es wurde auf ihn vertraglich das Risiko der Nichtzahlung des gelieferten Treibstoffs übertragen. Darüber hinaus hatte er bereits bei Bestellung zu zahlen. Alternativ sei zwar eine Zahlungsfrist von 9 Tagen ab Lieferung vorgesehen gewesen, jedoch nur soweit der Tankstellenbetreiber nach dem Ermessen von REPSOL in ausreichendem Umfang Sicherheit leistete. Für den Fall des Zahlungsverzuges war ein automatisch einsetzender Verzugszins in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zuzüglich 4% vereinbart worden und REPSOL war berechtigt, die Lieferungen bis Zahlungsausgleich auszusetzen. Darüber hinaus verpflichtete sich der Tankstellenpächter zu jeder Zeit ausreichend REPSOL-Treibstoff vorzuhalten. Schliesslich war vertraglich vereinbart, dass der Tankstellenpächter ab dem Zeitpunkt der Einfüllung des Treibstoffes für die ordnungsgemässe Aufbewahrung und die Mangelfreiheit gegenüber REPSOL und Dritten für hieraus resultierende Schäden haften sollte.

Aufgrund der hierdurch begründeten Verlagerung der wirtschaftlichen Risiken auf den Tankstellenpächter schloss der Tribunal Supremo, dass es sich im vorliegenden Fall ungeachtet der eindeutigen Bezeichnung im Vertrag nicht um einen Handelsvertreter im eigentlichen Sinne gehandelt habe, der in die Vertriebsorganisation des Unternehmens integriert sei.

Der Tribunal Supremo stellte aber in enger Anlehnung an die Entscheidung des EuGH vom 14. Dezember 2006 klar, dass auch die Einstufung als Handelsvertreter nicht automatisch einen Verstoss gegen die in Artikel 81.1 niedergelegten Wettbewerbsregeln entfallen lässt. Auch entsprechend gestaltete Handelvertreterverträge könnten insoweit geeignet sein, das „freie Spiel des Wettbewerbs“ unzulässig einzuschränken. Dies habe das Provinzgericht in seiner Entscheidung verkannt. Die Einordnung als Handelsvertretervertrag im Sinne des Handelsvertretergesetz könne nicht dazu dienen, die Regelungen über den unlauteren Wettbewerb zu umgehen.

Vorgabe von Preisen

Auch habe das Vertragsverhältnis nicht von den wettbewerbsrechtlichen Pflichten gemäss der Verordung 1984/83 freigestellt werden können, da von REPSOL die Preise an den Endverbraucher vorgegeben wurden. Zwar sah der Vertrag vor, dass der Tankstellenpächter von den durch REPSOL festgesetzen Treibstoffpreisen auf Kosten der vereinbarten Provision abweichen konnte. Jedoch sei dieser Spielraum angesichts eines Einkaufspreises zwischen umgerechnet 40-80 Cents und einer Marge zu Gunsten des Tankstellenpächters von 3-4 Cents nicht ausreichend, um annehmen zu können, dass die Partei die das wesentliche wirtschaftliche Risiko trägt, den Endpreis frei bestimmen kann.

Der Tribunal Supremo berücksichtigte bei seiner Entscheidung ebenfalls die starke Position von REPSOL im spanischen Mineralölmarkt.

Kein Entschädigungsanspruch

Dem Entschädigungsanspruch des Tankstellenpächters gab allerdings auch der Tribunal Supremo aus Erwägungen des treuen Glaubens nicht statt, da der Tankstellenpächter während der gesamten Vertragslaufzeit zu keinem Zeitpunkt den Verstoss wettbewerbsrechtlicher Vorschriften geltend gemacht hatte und sich auf die hieraus resultierende Nichtigkeit erst berief als REPSOL Klage gegen ihn erhoben hatte.

Mitgeteilt von RA & Abogado Michael Fries, Madrid