1. Vorwort
In Italien ist der Ausgleichanspruch des Handelvertreters gemäß Artikel 1751 des „Codice Civile“ (italienisches Zivilgesetzbuch), der Artikeln 17 und 19 der Richtlinie 86/653/EWG betreffend die selbständigen Handelsvertreter (Nachfongeld: „die Richtlinie“ genannt) umgesetzt hat, geregelt.
Laut Artikel 1751 cod. civ. „Bei Beendigung des Vertragsverhältnisses hat der Hersteller dem Handelsvertreter einen Ausgleich zu zahlen wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
- der Handelsvertreter hat dem Hersteller neuen Kunden gebracht oder die Geschäfte mit bereits vorhandenen Kunden merklich erweitert, und der Hersteller zieht aus Geschäften mit solchen Kunden noch erhebliche Vorteile (Nachfolgend „Kriterien des Artikels 1751 c.c.“ gennant);
- die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit solchen Kunden entgehenden Provisionen, entspricht der Billigkeit.“
Dieser Artikel, wie Artikel 17 der Richtlinie, ist auf den Verdienst abgestellt. Unser Gesetzgeber hat aber kein Kriterium für die Berechnung des Ausgleichs gestellt.
Artikel 1751 cod. civ. sagt nur das Folgende:
- Die Höhe des Ausgleichanspruchs darf den Betrag nicht überschreiten, der er einer Jahresvergütung entspricht, die der Vertreter während der letzten fünf Jahre bezogen hat, und wenn die Vertragsdauer unten fünf Jahren liegt, auf der Grundlage des Durchschnitts des betreffenden Zeitraums berechnet wird.
Eine Besonderheit Italiens ist die Berechnung des Ausgleichs die von den Kollektivtarifverträgen eingeführt wurde 1.
Die Kollektivtarifverträge finden Anwendung, wenn die Parteien diesen beitreten oder sich ausdrücklich auf diese beziehen.
Für die Anwendung einer Ausgleichsberechnung wie die des Tarifvertrags spielen die o.g. Kriterien des Artikels 1751 cod. civ. keine Rolle. Für die Bestimmung des Ausgleichs gemäß der Tarifverträge sind vielmehr die Dauer des Vertragsverhältnisses, die Höhe der während der Dauer des Vertragsverhältnisses an den Handelsvertreter gezahlten jährlichen Vergütung und die Frage, ob es sich bei dem Vertretervertrag um einen Exklusivvertrag handelt, relevant.
Gemäß den Tarifverträgen wird der Ausgleich gemäß festen Prozentsätzen der dem betreffenden Handelsvertreter gezahlten Provisionen und der Dauer des Vertragvertragsverhältnisses berechnet.
Bis zum Jahr 2006 hat die Mehrheit der Gerichte entschieden, dass die Tarifverträge mit Artikel 1751 cod. civ. vereinbar sind.
2. Europäischer Gerichtshof – Urteil vom 23. März 2006 –C-465/04
Im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einen Hersteller und einen Handelsvertreter, hat die italienische „Corte Suprema di Cassazione“ (Oberster Gerichtshof) ein Vorhabentscheidungsersuchen über die Auslegung der Artikel 17 und 19 der Richtlinie, an dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften am 11. Juni 2004 gestellt.
Im vorliegenden Fall, unterlag der Handelsvertretungsvertrag den Vorschriften des Zivilgesetzbuches, den besonderen Gesetzen über den Handelsvertretungsvertrag und den Tarifvertrag vom 27. November 1992.
Der Hersteller war der Ansicht dass der Ausgleich auf der Grundlage des Tarifvertrags von 1992 zu berechnen sei. Der Handelsvertreter hielt diesen Betrag für unzureichend. Der Handelvertreter war der Ansicht dass der Ausgleich nach den Kriterien des Artikels 1751 cod. civ. zu zahlen sei. In vorliegenden Fall wäre der Betrag gemäß Artikel 1751 cod. civ. höher gewesen als der Betrag kalkuliert gemäß des Tarifvertrags.
Mit dem Urteil vom 23. März 2006 C-465/04 entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften:
Artikel 19 der Richtlinie 86/653/EWG […] ist auszulegen, dass der Ausgleich wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses, der sich bei Anwendung des Artikels 17 Absatz 2 dieser Richtlinie ergibt, nicht in Anwendung eines Tarifvertrags durch einen Ausgleich ersetzt werden kann, der sich nach anderen als den in dieser Bestimmung vorgesehen Kriterien bestimmt, es sei denn, es ist nachgewiesen, dass die Anwendung eines solchen Tarifvertrags dem Handelsvertreter in jedem Fall einen Ausgleich garantiert, der demjenigen, der sich bei Anwendung der genannten Bestimmung ergäbe, entspricht oder diesen übersteigt.
Die Mitgliedstaaten innerhalb des durch Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 86/653 festgelegten Rahmens einen Gestaltungsspielraum haben, den sie insbesondere nach Maßgabe des Kriteriums der Billigkeit nutzen können.
Gemäß dieser Entscheidung verstößt die Regelung des Ausgleichsanspruch im Tarifvertrag von 1992 gegen Artikel 17 der Richtlinie.
3. Italienische Rechtsprechung nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat die italienische Rechtsprechung die folgenden Grundsätze festgestellt:
Der vom Tarifvertrag vorgesehene Ausgleich ist eine mindeste versicherte Abfindung. Dieser Ausgleich ist rechtmäßig, nur wenn im konkreten Fall dem Handelsvertreter kein höherer Anspruch gemäß die Kriterien des Artikels 1751 cod. civ. zusteht.
Ferner, was die Berechnung des Ausgleiches betriff, haben einige Entscheidungen der Corte di Cassazione die folgenden Grundsätze festgestellt: verschiedene Berechnungsmethoden sind zulässig, insbesondere synthetische Methoden, die das Kriterium der Billigkeit und die in der Richtlinie angegebene Höchstgrenze als Ausgangspunkt der Berechnungen stärker berücksichtigen.
Mitgeteilt von Ra. Paolo Lombardi und Rain. Mariaelena Giorcelli – Kanzlei Buffa, Bortolotti & Mathis, Torino.
1Zur Zeit sind die folgenden Kollektivtarifverträge gültig: AEC 20.03.2002 für den Industriesektor und AEC 16.02.2009 für den Handelsektor.