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Schätzung der Unternehmervorteile bei der Ausgleichsberechnung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.11.2009, Az. VIII ZR 249/08)

Beweislast für nicht ausgleichspflichtige Verwaltungstätigkeit
Kein höherer Billigkeitsabschlag wegen kurzer Vertragsdaue

1) Schätzung der Vorteile des Unternehmers im Vergleich mit den Provisionsverlusten des Han­dels­ver­tre­ters

Der Bundesgerichtshof hat in dem zum Han­delsvertreterrecht bei Tankstellenverträgen ergangenen Urteil zunächst einige grundle­gende Ausführungen zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs vorgenommen. So führt der BGH aus, dass für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB die letzte Jahresprovision maßgebend sei und stellt fest: „Dem liegt die nach der Recht­sprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 29. März 1990 – I ZR 2/89, WM 1990, 1496, unter 3 c) gemäß § 287 ZPO zulässige Schät­zung zugrunde, dass die der Beklagten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses verblei­benden Vorteile aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Kläger geworben hat (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB), der Höhe nach identisch sind mit den Provisionsverlus­ten, die der Kläger infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses erleidet (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB aF bzw. § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB in der seit 5. August 2009 geltenden Neufassung). Dass die der Beklagten verblei­benden Vorteile höher zu bewerten wären, macht auch der Kläger nicht geltend. Die in Umsetzung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Ge­meinschaften vom 26. März 2009 (Rs. C-348/07, EuZW 2009, 304 – Turgay Semen/Deutsche Tamoil GmbH) erfolgte Neufassung des § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB bleibt damit für den Streitfall ohne Aus­wirkungen. Denn der Ausgleich wird nach wie vor durch die Höhe der dem Unternehmer verbleibenden Vorteile begrenzt (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB nF). Nur das bislang in Nr. 2 gesondert aufgeführte Tatbestandsmerkmal (Provisionsverluste des Handelsvertreters infolge Vertragsbeendigung) ist gestrichen worden und findet sich nun lediglich als ein bei der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigender Gesichtspunkt wieder (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB nF)“.

2) Verwaltungsprovisionen nicht bei Aus­gleichsermittlung zu be­rück­sich­ti­gen

Darüber hinaus bekräftigt der BGH im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung, dass „bei der Ermittlung der Höhe des Ausgleichs­anspruchs nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur solche Provisionen und Provisionsanteile zugrunde zu legen sind, die der Tankstellenhalter als Handelsvertreter für seine (“werbende”) Vermittlungs- und Ab­schlusstätigkeit enthält, nicht dagegen Provisi­onen für vermittlungsfremde (“verwaltende”) Tätigkeiten (Senatsurteile vom 12. September 2007, aaO, Tz. 49; vom 10. Juli 2002 – VIII ZR 158/01, WM 2003, 499, unter II 2 und VIII ZR 58/00, WM 2003, 491, unter II 1, 2; jeweils m.w.N.)“. Nach der Beurteilung des BGH haben die Parteien in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall keine wirksame Ver­einbarung darüber getroffen, in welchem Um­fang auch verwaltende Tätigkeiten von der gezahlten Provision erfasst sind. Denn die in dem streitgegenständlichen Vertrag getroffene Regelung, nach der 50 % der Gesamtvergü­tung auf Tätigkeiten des Tankstellenpächters mit verwaltendem Charakter entfallen soll, sei wegen Verstoßes gegen § 89b Abs. 4 HGB nichtig. Der BGH verweist insofern auf seine frühere Rechtsprechung im Senatsurteil vom 10. Juli 2002 – VIII ZR 58/00, aaO, unter B II 2 a; BGHZ 152, 121, 133 ff.). Er bekräftigt, dass es für die Bestimmung der bei der Bemessung eines Handelsvertreterausgleichs zu berück­sichtigenden Provisionsanteile somit auf das tatsächliche Verhältnis zwischen werbender und verwaltender Tätigkeit ankomme.

3) Beweislast für werbende Tätigkeit als Grundlage der Provision

Zu der Frage, wer darlegen und beweisen muss, in welchem Umfang vergütete Tätigkei­ten ausschließlich fremdverwaltenden Zwecken dienten, erläutert der BGH: „Grundsätzlich (trägt) der einen Ausgleichsanspruch geltend machende Kläger die Darlegungs- und Beweislast für dessen Voraussetzungen und damit auch dafür (…), dass der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nur solche Provisi­onsanteile zugrunde liegen, die auf seine wer­bende Tätigkeit entfallen (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2002 – VIII ZR 158/01, aaO, m.w.N; BGH, Urteil vom 28. April 1988 – I ZR 66/87, NJW-RR 1988, 1061, unter II 2 b).

Wenn aber – wie hier – in dem von der Beklagten vorgege­benen Vertrag nicht wirksam geregelt ist, in welchem Umfang mit den Provisionen be­stimmte Tätigkeiten vergütet werden, obliegt es der Beklagten, im Einzelnen darzutun, wel­che Aufteilung der Provision nach dem Vertrag angemessen ist, falls sie von der Beurteilung ihres Vertragspartners abweichen will (vgl. Senatsurteile vom 10. Juli 2002 – VIII ZR 158/01, aaO; vom 6. August 1997 – VIII ZR 150/96, NJW 1998, 66, unter B I 3 und VIII ZR 91/96, […], B I 1 c; BGH, Urteil vom 28. April 1988, aaO). Anders als das Berufungsgericht meint, hat der Kläger seiner Darlegungslast dadurch genügt, dass er darauf verwiesen hat, alle von ihm erbrachten verwaltenden Tätigkei­ten seien zumindest auch werbender Natur gewesen und daher nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht als vermittlungsfremde Tätigkeiten einzustufen. Wie der Senat ent­schieden hat, sind sämtliche mit der Lagerhal­tung, der Auslieferung und dem Inkasso zu­sammenhängenden Arbeiten untrennbar mit der Vermittlungs- und Abschlusstätigkeit des Tank­stellenhalters verbunden und rechtfertigen daher keinen Abschlag für verwaltende Tätig­keiten (vgl. etwa Senatsurteile vom 10. Juli 2002 – VIII ZR 58/00, aaO, unter II 2 b; vom 12. Februar 2003 – VIII ZR 130/01, NJW-RR 2003, 821, unter B III 1 a; jeweils m.w.N.). Da somit die Tätigkeit eines Tankstellenhalters überwie­gend werbender Natur ist, ist nicht von vornhe­rein auszuschließen, dass der hierin einge­schlossene Fremdverwaltungsanteil gering anzusetzen oder sogar insgesamt zu vernach­lässigen ist. (…). Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist es daher Aufgabe der Beklagten, den von ihr behaupteten Verwal­tungsanteil (10 %) darzulegen und nachzuwei­sen.“

4) Kein höherer Billigkeitsabschlag wegen kurzer Vertragsdauer

Schließlich bekräftigt der Bundesgerichtshof seine Einschätzung der Frage, ob im Hinblick auf eine nur relative kurze (hier zweieinhalb­jährige) Vertragslaufzeit ein höherer Billigkeits­abschlag vorzunehmen ist. Das wird eindeutig verneint und wie folgt begründet: „auch eine relativ kurze Vertragsdauer darf bei der Billig­keitsabwägung im Regelfall nicht zum Nachteil des Handelsvertreters berücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1996 – VIII ZR 22/96, NJW 1997, 655, unter B I 2 b m.w.N.). Dieser Umstand wirkt sich nämlich faktisch bereits deswegen zum Nachteil des Handelsvertreters aus, weil er bei kurzer Ver­tragsdauer üblicherweise noch keinen großen Kundenstamm werben konnte. (…). Das Ver­hältnis von während der Vertragslaufzeit ver­dienten Provisionsansprüchen und dem auf der Grundlage der letzten Jahresprovision zu bemessenden Ausgleichsanspruch ist jedoch schon deswegen kein im Rahmen der Billig­keitsabwägung zu prüfender Aspekt, weil der Anspruch nach § 89b Abs. 1 HGB ausschließ­lich dazu dient, einen Ausgleich dafür zu schaf­fen, dass dem Handelsvertreter künftig Provi­sionsansprüche entgehen, während dem Un­ternehmer die während der Vertragslaufzeit gewonnene Kundschaft zumindest teilweise verbleibt (Stammkunden). Soweit die Beklagte die Leistungen des Klägers – “Offenhalten” der Tankstelle – als eher untergeordnete Tätigkeiten bewertet, verkennt sie, dass gerade diese Tätigkeit die Provisionspflicht und damit auch einen Anspruch auf Handelsvertreterausgleich auslöst. Denn selbst wenn ein Kunde die Tankstelle zunächst allein wegen ihrer Lage, der Marke oder ihres Preises aufsucht, kann eine Geschäftsbeziehung zu dem Mineralölun­ternehmen nur dann zustande kommen, wenn der Tankstellenhalter die Tankstelle offen und betriebsbereit hält (vgl. Senatsurteile vom 6. August 1997 – VIII ZR 150/96, aaO, unter B I 2 a, und VIII ZR 91/96, aaO, unter B I 2 e)“.

Mitgeteilt von RAin Dr. Weipert, Ramser Rechtsanwälte, Frankfurt.