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Urteil 4C.218/2005 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 30. April 2006

Kein Anspruch eines Agenten auf eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung bei sehr langer Vertragsdauer und erheblichen Leistungen des Auftraggebers zugunsten des Agenten über die Zahlung von Provisionen hinaus wegen Unbilligkeit.

Leistungen des Auftraggebers

Das Bundesgericht hatte in seinem Urteil einen Fall zu beurteilen, bei dem ein Ver­sicherungs­agent während über 20 Jahren für eine Ver­sicherungs­ge­sell­schaft tätig gewesen war.

Während dieses Zeitraums wurden die bestehenden Vereinbarungen über die Zusammenarbeit mehrfach abgeändert und hatte der Agent auch verschiedene administrative Arbeiten für die Ver­sicherungs­ge­sell­schaft auszuführen. Dafür erhielt der Agent zusätzlich zu den ihm zustehenden Provisionen aufgrund der abgeschlossenen Ver­si­che­rungs­po­li­cen eine Entschädigung von CHF 50’000.00 pro Jahr.

Im weiteren leistete die Ver­si­che­rungsgesellschaft in den Jahren 1977 bis 1995 Beiträge an die Altersvorsorge des Agenten in Höhe von insgesamt CHF 75’000.00.

Klage des Agenten

Nach Auflösung des Vertragsverhältnisses mit der Ver­si­che­rungsgesellschaft klagte der Agent unter anderem eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung in Höhe von CHF 50’000.00 ein. Das zuständige kantonale Gericht sprach dem Agenten CHF 25’000.00 zu.

Verjährter oder unbilliger Anspruch?

Auf Berufung hin hatte das Bundesgericht unter anderem zu überprüfen, unter welchen Voraussetzungen im vorliegenden Fall eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung geschuldet sei und auf Einwand der Ver­si­che­rungsgesellschaft, ob ein allenfalls bestehender Anspruch nicht wegen Unbilligkeit zu verneinen sei.

Nachdem das Bundesgericht die Einwendungen der Ver­si­che­rungsgesellschaft, der Anspruch sei verjährt weil seit über zehn Jahren kein Agenturvertrag mehr bestanden habe, da auch nicht vom Umsatz abhängige Entschädigungen bezahlt worden seien, kam das Bundesgericht zum Schluss, das Vertragsverhältnis sei während der gesamten Dauer der Zusammenarbeit als Agenturvertrag zu qualifizieren. Dies insbesondere auch, weil der Agent nach wie vor frei gewesen sei, seine Tätigkeit nach eigenem Ermessen zu organisieren, eigenes Personal einzustellen, eine eigene Buchhaltung zu führen und Mieträumlichkeiten zu mieten.

Natur des Anspruchs auf Kund­schafts­ent­schä­di­gung

In den folgenden Ausführungen befasste sich das Bundesgericht mit den Voraussetzungen für eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung und in diesem Zusammenhang mit der Frage, welcher Natur der Anspruch sei.

Es führte dazu aus, die Kund­schafts­ent­schä­di­gung stelle eine Kompensation dar für den wirtschaftlichen Wert, den der Auftraggeber nach der Beendigung des Agenturvertrags besitze, der Anspruch sei nicht ein Schadenersatzanspruch des Agenten sondern eine Entschädigung für den Mehrwert, den er für den Auftraggeber geschaffen habe.

Keine Kund­schafts­ent­schä­di­gung wegen Unbilligkeit

Weiter führte das Bundesgericht aus, eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung könne jedoch unbillig sein, wenn der Agent während der Dauer des Vertrags bereits ausreichend entschädigt worden sei für seine Leistungen. Dies könne der Fall sein, wenn der Agent sehr hohe Provisionen erhalten oder anderweitig Vorteile erworben habe, wie z.B. Aufnahme in eine Altersversicherung. Daneben seien auch eine lange Dauer eines Vertrags und Zahlungen des Auftraggebers zu berücksichtigen, mit denen dieser dem Agenten beispielsweise Unkosten ersetzt habe.

Im vorliegenden Fall hatte die Ver­si­che­rungsgesellschaft dem Agenten nicht nur jährlich CHF 50’000.00 an dessen Unkosten entrichtet, sondern auch während der Dauer von 18 Jahren Beiträge von insgesamt CHF 75’000.00 in eine Vorsorgekasse einbezahlt, während der Agent lediglich CHF 22’800.00 einbezahlte.

Nachdem alleine diese Einzahlungen in die Altersvorsorge den geltend gemachten Anspruch von CHF 50’000.00 auf eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung überstiegen, erachtete das Bundesgericht den Anspruch auf eine Kund­schafts­ent­schä­di­gung als unbillig.

Zusätzlich zog das Bundesgericht die erwähnten jährlichen Zahlungen von CHF 50’000.00 und die lange Dauer des bestehenden Vertrags in Betracht und qualifizierte den eingeklagten Anspruch auch unter diesen Aspekten als unbillig.

Entgegen der von Kommentatoren zum Agenturrecht vertretenen Ansicht, prüfte das Bundesgericht damit die Frage der Billigkeit nicht erst bei der Bemessung eines Anspruchs auf Kund­schafts­ent­schä­di­gung, sondern lehnte diesen wegen Unbilligkeit vorab bereits dem Grunde nach ab.

1. Dezember 2009

Mitgeteilt von Dr. André Thouvenin, Thouvenin Rechtsanwälte, Zürich.