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Urteil des Cour de Justice Genf vom 08.09.2009

Der Cour de Justice Genf hatte auf Weisung des Bundesgerichts in dessen Urteil BGE 134 III 497 erstmals über die Höhe einer Kundschaftsentschädigung eines Alleinvertreters zu entscheiden. Es setzte diese auf 3/4 der Nettomarge fest.

Bis 2009: Kein Anspruch auf eine Entschädigung bei Vertragsende.

Bis zum Entscheid des Bundesgerichts in BGE 134 111 497 war bei der Rechtsberatung darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht bisher den Anspruch eines Alleinvertreters auf eine Kundschaftsentschädigung analog zu Art. 418u OR abgelehnt hatte. Dabei war auch zu erwähnen, dass eine analoge Anwendung anderer Bestimmungen des Agenturrechts wie z.B. hinsichtlich der Kündigung des Vertrags vom Bundesgericht zwar nicht völlig ausgeschlossen wurde, bis anhin jedoch entsprechende Fälle nicht zu beurteilen waren.

Grundsatzentscheid des Bundesgerichts

Mit dem erwähnten Entscheid änderte das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung und räumte dem Alleinvertreter bei Beendigung des Alleinvertriebsvertrags analog Art. 418u OR einen Anspruch auf eine Kundschaftsentschädigung ein.

Voraussetzungen der Kundschaftsentschädigung

Das Bundesgericht entschied, bezüglich einer Kundschaftsentschädigung beim Alleinvertreter liege eine echte Gesetzeslücke vor. Ein Alleinvertreter, der derart in die Absatzorganisation des Lieferanten eingegliedert gewesen sei, wie das bei einem Agenten der Fall sei, und der trotz der rechtlichen Unabhängigkeit wirtschaftlich nur über eine begrenzte Autonomie verfügt habe, so dass er sich wirtschaftlich in einer Situation befunden habe, die jener eines Agenten ähnlich sei, habe unter den gleichen Voraussetzungen wie der Agent einen – ebenfalls zwingenden – Anspruch auf eine Kundschaftsentschädigung.

Bemessung der Kundschaftsentschädigung

Für die Bemessung der Kundschaftsentschädigung verwies das Bundesgericht auf die Regelung im Agenturrecht. Es berechnete jedoch die Entschädigung nicht selber, sondern wies den Fall an die Vorinstanz zurück, weil diese die für die Berechnung erforderlichen Sachverhaltsabklärungen nicht vorgenommen hatte und die Angaben in den Rechtsschriften der Parteien unzureichend waren.

Die Vorinstanz, der Genfer Court de Justice, entschied mit Urteil vom 08.09.2009 über die Bemessung der Kundschaftsentschädigung und sprach dem Alleinvertreter eine Entschädigung von 3/4 seines Nettojahresverdiensts zu.

Dabei berücksichtigte er insbesondere

  • die relativ lange Vertragsdauer von 10 Jahren;
  • die Sogwirkung der Marke der vertriebenen Produkte;
  • die Tatsache, dass der Alleinvertreter die Namen der Kunden und die mit ihnen abgeschlossenen Geschäfte laufend dem Hersteller rapportieren musste, so dass dieser nach Auflösung des Vertrags sofort in der Lage war, die Kunden weiter zu bearbeiten.

Berechnung des Nettojahresverdiensts

Beim Thema Nettojahresverdienst war zwischen den Parteien einzig im Streit, ob die Miet- und Personalkosten des Alleinvertreters bei der Berechnung des Nettoverdiensts zu berücksichtigen seien.

Das Genfer Gericht bejahte dies richtigerweise und zog diese Kosten – zusammen mit Werbe- und Transportkosten – vom Umsatz ab. Im Ergebnis berechnete das Gericht den durchschnittlichen Nettojahresverdienst damit wie bei einem Agenten.

Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass die Nettogewinnmarge des Alleinvertreters nicht mit dem Nettogewinn eines Agenten vergleichbar ist. Dies, weil die Nettomarge auch unternehmerische Risiken, insbesondere Risiken bezüglich Absatz der Produkte und Schwankungen der Preise, das Kreditrisiko, und die Lagerkosten u.ä. einschliesst, die ein Agent nicht zu tragen hat.

Wenn das Gericht hier nicht näher darauf einging, so weil der Alleinvertreter als Kläger in einem Eventualantrag zu seinem Rechtsbegehren den Nettojahresverdienst (nach Abzug der oben erwähnten Miet- und Personalkosten) für die beiden Länder, in denen er tätig gewesen war, mit durchschnittlich CHF 65’000.00 und CHF 45’000.00 beziffert und die Beklagte diese Werte nicht bestritten hatte.

Es bleibt somit abzuwarten, wie die Gerichte die Unterschiede zwischen der Nettogewinnmarge des Alleinvertreters und dem Nettojahresverdienst des Agenten in Zukunft berücksichtigen werden.

20. Oktober 2011

Mitgeteilt von Dr. André Thouvenin, Thouvenin Rechtsanwälte, Zürich.