Verpflichtung einer Unternehmung zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen
Nach einer Arbeitgeberkontrolle bei einer auf Direktmarketing im Tourismusbereich spezialisierten Firma verpflichtete die zuständige Ausgleichskasse die Firma zu erheblichen Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen für die verschiedenen Vermittlern bezahlten Provisionen.
Im Verfahren vor Bundesgericht (9C_946/2009, Urteil vom 30. September 2010) war streitig, ob es sich bei den an verschiedene Personen bezahlten Provisionen um Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit handle.
Abgrenzung selbständig/unselbständig erwerbend
Das Bundesgericht führt dazu aus, ob im Einzelfall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliege, beurteile sich aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten. Als unselbständig erwerbstätig sei im Allgemeinen zu betrachten wer von einer Arbeitgeberin in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig sei und kein spezifisches Unternehmerrisiko trage. Die Frage sei unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zu Tage träten, müsse sich der Entscheid oft danach richten, welche diese Merkmale im konkreten Fall überwiegen.
Agenten nur bei eigener Verkaufsorganisation selbständig erwerbend
Weiter führt das Bundesgericht aus, Agenten gälten praxisgemäss nur dann als Selbständigerwerbende, wenn sie über eine eigene Verkaufsorganisation verfügten, d.h. kumulativ eigene Räumlichkeiten benützten, eigenes Personal beschäftigten und die Kosten im wesentlichen selber tragen.
Kein wesentliches Unternehmerrisiko
Die Vorinstanz kam zum Schluss, die betroffenen Personen seien in unselbständiger Stellung als Agenten im Bereich Telefonmarketing oder Immobilienvermittlung tätig gewesen. Sie hätten die Büroräumlichkeiten der Firma benutzen können, kein eigenes Personal beschäftigt und zumindest teilweise auch Anspruch auf Ersatz der Auslagen gehabt. Ein bedeutsames Unternehmerrisiko habe nicht bestanden.
Gesamtheit der Umstände massgebend
Das Bundesgericht führt in Würdigung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts aus, für die Abgrenzung selbständiger von unselbständiger Tätigkeit komme es nicht allein auf das Unternehmerrisiko an. Von Bedeutung sei grundsätzlich die Gesamtheit der Umstände des konkreten Falls, insbesondere Art und Umfang der wirtschaftlichen und arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit vom Auftrag- oder Arbeitgeber. Dieser Gesichtspunkt könne insbesondere dort, wo die in Frage stehende Tätigkeit keine erheblichen Investitionen etwa in die Infrastruktur oder personellen Mittel erfordere, zu Gunsten unselbständiger Erwerbstätigkeit sprechen und sei gegebenenfalls auch bei Agenten in die Beurteilung mit einzubeziehen.
Organisatorische Einbettung des Agenten in die Unternehmung
Das Bundesgericht würdigte im vorliegenden Fall auch, dass die Firma ein Weisungsrecht gegenüber den Agenten hatte, galt doch ein umfassendes Konkurrenzverbot und war es den Agenten verboten Werbung zu machen und öffentliche Erklärungen abzugeben. Daraus schloss das Bundesgericht auf eine beträchtliche arbeitsorganisatorische Einbettung der Agenten und ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Agenten und der Firma. Dass die Agenten der Firma als gleichgeordneter Geschäftspartner gegenüberstanden, was für selbstständige Tätigkeit spreche, könne jedenfalls nicht gesagt werden.
Mitgeteilt von Dr. André Thouvenin, Thouvenin Rechtsanwälte, Zürich.