Urteil Nr. 28 des Tribunal Supremo (TS) vom 21. Januar 2009 (RJ2009552)
Abgrenzung Vertragshändler – Handelsvertreter; analoge Anwendung des Gesetzes über den Handelsvertretervertrag auf den Vertragshändler; Schadensersatz und Kundenstammausgleich des Vertragshändlers; Sogwirkung der Marke; vertraglicher Ausschluss der Haftung für Schadensersatz und Kundenstammausgleich.
A) Sachverhalt
Dem Rechtsstreit lag die Kündigung eines schriftlich geschlossenen Autohändlervertrages seitens des Autoherstellers Renault zu Grunde. Die Kündigung war von Renault unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Frist von 1 Jahr erklärt worden. Der Vertrag sah darüber hinaus den Ausschluss eines Schadensersatz- und Kundenstammausgleichsanspruchs des Händlers vor.
B) Klageanträge
Der gekündigte Autohändler erhob vor dem Gericht Erster Instanz Nr. 2 von Almeria im Jahre 1998 Klage auf Zahlung folgender Beträge:
- Kundenstammausgleich in Höhe von 1.115.000,– €;
- Schadensersatz wegen nicht amortisierter und auf Veranlassung von Renault durchgeführter Investitionen in Höhe von 762.000,– €;
- Schadensersatz für Werbeausgaben in Höhe von 134.000,– €;
- Schadensersatz für aufgrund Arbeitnehmerentlassungen geleisteter Abfindungszahlungen in Höhe von 161.000,– €;
- Zinsschaden in Höhe von 7.000,– €;
- Feststellung einer Verpflichtung zum Ersatz des während der Kündigungsfrist entgangenen Gewinns in einer in der Vollstreckung zu bestimmenden Höhe;
- Schadensersatz wegen Vertragskündigung in Höhe von 1.200.000,– €;
- Feststellung einer Verpflichtung auf Ersatz des aufgrund zukünftiger Arbeitnehmerentlassungen oder Ansprüchen unterbeauftragter Vertreter enstehenden Schadens;
C) Gericht Erster Instanz
Das Gericht Erster Instanz Nr. 1 von Almeria gab der Klage teilweise per Urteil vom 1. April 2001 statt und verurteilte Renault zur Zahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt 1.720.000,– € sowie einer weiteren in der Vollstreckung noch zu bestimmenden Summe. Der veröffentlichten Entscheidung lässt sich nicht entnehmen auf welche Konzepte sich der vorgenannte Betrag im einzelnen bezog.
D) Berufungsgericht
Gegen das Urteil legte Renault Berufung zum Provinzgericht Almeria ein. Die 2. Zivilkammer des Provinzgerichts gab der Berufung per Urteil vom 13. September 2002 teilweise statt. Es hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und verurteilte Renault nur zu Schadensersatz für den während der Kündigungsfrist entgangenen Gewinn, dessen Höhe in der Vollstreckung zu bestimmen sei.
Zur Begründung führte das Provinzgericht Folgendes aus: Der streitgegenständliche Vertrag sei als Vertragshändlervertrag und nicht wie vom Gericht Erster Instanz vertreten als Handelsvertretervertrag zu qualifizieren. Die Tatsache, dass Renault einen Höchstverkaufspreis vorgeschrieben hatte, könne nicht zur Qualifizierung als Handelsvertreter führen, wie dies vom Gericht Erster Instanz noch angenommen worden war. Es handele sich insoweit um eine unwesentliche Vertragsbedingung, die auf die rechtliche Qualifizierung des Vertragsverhältnisses keinen Einfluss habe. Vielmehr sei auf das wesentliche Differenzierungsmerkmal abzustellen, dass darin bestehe, dass die Klägerin auf eigene Rechnung die Fahrzeuge kaufte und verkaufte und hierbei die entsprechende Gewinnmarge erzielte.
Daraus folge, dass das spanische Gesetz über den Handelsvertretervertrag von 1992 keine automatische und direkte Anwendung finden könne. Beim spanischen Handelsvertretergesetz, das auf die europäische Handelsvertreterrichtlinie zurückgeht, handelt es sich um ein Spezialgesetz mit 31 Artikeln, aufgeteilt in 3 Kapitel über die Allgemeinen Bestimmungen (Artikel 1-4), den Vertragsinhalt (Artikel 5-22) und die Vertragsbeendigung (Artikel 23-31) sowie eine Zusatzbestimmung über die örtliche Gerichtszuständigkeit. Die Vorschriften des Gesetzes über den Handelsvertretervertrag sind nur insoweit dispositiv als dies vom Gesetz selbst ausdrücklich so zugelassen wird, d.h. sind also i.d.R. zwingend.
Die Anspruchgrundlagen für den hier vom Gericht als Vertragshändler qualifizierten Autohändler geltend gemachten Schadensersatz und Kundenstammausgleich müssten sich daher aus den allgemeinen Schadensersatzregelungen in Artikel 1101 spanischer Código Civil und dem allgemeinen Prinzip über die ungerechtfertigte Bereicherung ergeben.
In Bezug auf den bei fristgerechter Kündigung vertraglich vereinbarten Ausschluss von Schadenersatz- und Ausgleichsansprüchen stellte das Provinzgericht fest, dass ein solcher Ausschluss grundsätzlich zulässig sei.
Allerdings könne dessen ungeachtet ein Anspruch auf Schadenersatz bestehen, wenn die Vertragskündigung als rechtsmissbräuchlich („abusiva“) zu bewerten sei. Im vorliegenden Fall nahm das Provinzgericht deshalb keine Rechtsmissbräuchlichkeit an, weil der Händler nicht die im Vertrag vereinbarten Mindestabsatzzahlen erreicht habe, was zwar keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstelle, jedoch die Annahme einer Rechtsmissbräuchlichkeit der Kündigung entfallen lasse. Somit seien in Bezug auf die Schadensersatzforderungen wegen Kündigung des Vertragsverhältnisses die gesetzlichen Voraussetzungen die gemäss Artikel 1101 Código Civil eine schuldhafte Handlung voraussetzen, nicht erfüllt. Das Gericht Erster Instanz hatte insoweit in der Reduzierung des Vertragsgebietes seitens Renault noch einen Anhaltspunkt für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten erkannt. Dieses Argument wurde allerdings vom Provinzgericht abgelehnt, da die Gebietsreduzierung zeitlich vor der vertraglichen Festsetzung der Mindestabsatzzahlen gelegen habe.
Nichtsdestrotz bejahte das Provinzgericht einen Schadensersatzanspruch zu Gunsten des Händlers in Bezug auf ein schuldhaftes Verhalten von Renault nach Vertragskündigung.. So sah es das Provinzgericht in Übereinstimmung mit dem Gericht Erster Instanz als erwiesen an, dass es nach Vertragskündigung zu Lieferverzögerungen gekommen sei, die den Händler dazu gezwungen hätten, Fahrzeuge anderweitig zu beschaffen, wodurch diesem Mehraufwendungen entstanden seien, die ihm als entgangener Gewinn zu erstatten seien. Die Bestimmung der Schadensersatzhöhe habe allerdings erst in der Vollstreckung zu erfolgen.
Den geltendgemachten und in erster Instanz noch zugesprochenen Kundenstammausgleich lehnt das Provinzgericht ebenfalls ab, da dieser zum Einen wirksam vertraglich ausgeschlossen worden sei und zum Anderen vom Händler nicht der Nachweis geführt worden sei, den bei Vertragsbeendigung bestehenden Kundenstamm tatsächlich geschaffen zu haben. Gerade im Bereich der Automobilbranche sei bekannt, dass die Kundengewinnung weniger auf der Verkaufsförderung durch den Händler beruhe, sondern vielmehr auf der Bekanntheit der Marke. Es sei insoweit nachgewiesen, dass ein neuer Händler innerhalb kürzester Zeit die durchschnittlichen Verkaufszahlen der vertriebenen Marke erreiche. Auch sei es für den Händler im vorliegenden Fall aufgrund seiner mehr als 40-jährigen exklusiven Vertriebstätigkeit und der in den ersten Jahren kaum vorhandenen Konkurrenz besonders einfach gewesen, ein Vertriebsnetz aufzubauen. Das Provinzgericht erkannte in der Übernahme des Kundenstamms durch den neuen Renault-Händler daher keine ungerechtfertigte Bereicherung seitens Renault, die zu einem Kundenstammausgleich geführt hätten.
Gegen das Urteil des Provinzgerichts legte der Händler Kassationsbeschwerde zum TS ein.
E) Tribunal Supremo
Der Tribunal Supremo (TS) verwarf die Kassationbeschwerde und bestätigte das Urteil des Provinzgerichts vollumfänglich. In seiner Entscheidung stellte der TS nocheinmal unter ausführlicher Zitierung seiner Rechtsprechung einige Grundprinzipien des ausschliesslich durch Richterrecht geschaffenen Rechts der Vertragshändler dar.
1. Abgrenzung Handelsvertreter – Vertragshändler:
Der Händler hatte bis zuletzt vorgetragen, dass es sich im vorliegenden Fall um einen Handelsvertretervertrag handeln würde. Dies lehnte der TS letztinstanzlich ab und nahm einen Vertragshändlervertrag an. Nach der ständigen Rechtsprechung des TS kauft und verkauft der Vertragshändler selbstständig die vom Hersteller gelieferten Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und erzielt den entsprechenden Gewinn. Der Handelsvertreter hingegen vermittelt den Verkauf, der vom Unternehmer hergestellten Waren und schliesst ggfs.. auch die entsprechenden Kaufverträge jedoch immer im Namen des Herstellers ab. Hierbei handelt es sich um das entscheidende Abgrenzungskriterium,
2. Analoge / entsprechende Anwendung von Artikel 28 Handelsvertretergesetz:
In Bezug auf das Gesetz über den Handelsvertretervertrag stellt der TS zunächst erneut fest, dass dessen Regelungen nicht automatisch auf den Vertragshändler Anwendung finden. Dies gelte insbesondere für Artikel 28, der den Kundenstammausgleich des Handelsvertreters wie folgt regelt: Art. 28 Kundenstammausgleich
1. Im Falle der Beendigung des Handelsvertretervertrages, unabhängig davon, ob dieser befristet oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurde, hat der Handelsvertreter, der für den Unternehmer neue Kunden hinzugewonnen hat oder die Operationen mit den vorhandenen Kunden spürbar anheben konnte, einen Ausgleichsanspruch, vorausgesetzt, dass die durch ihn zuvor ausgeführte Tätigkeit geeignet ist, dem Unternehmer weiterhin erhebliche Vorteile zu verschaffen und der Anspruch wegen der Existenz eines Wettbewerbsverbotes, der verlorengegangenen Provisionen oder anderer Umstände angemessen erscheint.
2. Der Entschädigungsanspruch für den Kundenstamm existiert auch für den Fall, dass der Vertrag durch den Tod oder die Todeserklärung des Handelsvertreters beendet wird.
3. Die Entschädigung kann keinesfalls über der durchschnittlichen Jahresvergütung des Handelsvertreters, ermittelt aus dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre oder bei kürzerer Geltungsdauer des Vertrages aus der Gesamtlaufzeit, liegen.
Nichtsdestotrotz bejaht der TS die Heranziehung von Artikel 28 Handelsvertretergesetz als Orientierungskriterium zur Bestimmung der Höhe des Ausgleichsanspruchs des Vertragshändlers.
Der TS sieht wie in Deutschland insbesondere dann eine Annäherung an den Handelsvertreter und damit die Heranziehung der Kundenstammausgleichsregelung des zitierten Artikel 28 für gegeben, wenn der Vertragshändler in das Vertriebsnetz des Herstellers eingegliedert war.
Nach ständiger Rechtsprechung des TS hat der Vertragshändler den geschaffenen Kundenstamm und dessen potentielle zukünftige Nutzung durch den Hersteller zu beweisen.
3. Abgrenzung und Voraussetzungen von Schadensersatz und Kundenstammausgleich:
In Bezug auf die Abgrenzung von Schadensersatz und Kundenstammausgleich stellt der Tribunal Supremo nocheinmal ausdrücklich fest, dass es sich aufgrund ihrer Struktur und Voraussetzungen um zwei völlig unterschiedliche Rechtsinstitute handelt, die strikt voneinander getrennt werden müssen.
So enthält Artikel 29 des spanischen Handelsvertretergesetzes für den Handelsvertreter eine spezifische Schadensersatzregelung, wonach dieser bei Vertragsbeendigung Ersatz der auf Anweisung des Unternehmens veranlassten Investitionen, die er nicht amortisieren konnte, verlangen kann.
Darüber hinaus finden sowohl auf den Handelsvertreter als auch den Händler die allgemeinen Vorschriften über den Schadensersatz in Artikel 1101 und 1124 Código Civil Anwendung.
Danach hat der gekündigte Handelsvertreter oder hier im Fall der Händler neben einem rechtswidrigen schuldhaften Verhalten des Unternehmers den ihm entstandenen Schaden sowie den entsprechenden Kausalzusammenhang zu beweisen. Ein Schadensersatz begründendes rechtswidiges schuldhaftes Verhalten wird z.B. in der Kündigung ohne Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist oder bei Fehlen einer entsprechenden vertraglicher Vereinbarung, ohne Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist oder in einer sonstigen rechtsmissbräuchlichen Beendigung des Vertragsverhältnisses gesehen.
Der TS stellt auch insoweit umgekehrt erneut klar, dass allein die Kündigung eines auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertragshändlervertrages ohne Vorliegens bzw. Nachweises eines bösgläubigen oder rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Unternehmers nicht zu einer Schadensersatzpflicht führt.
Im vorliegenden Fall folgte der TS dem Urteil des Provinzgerichts und lehnte mangels Rechtsmissbräuchlichkeit einen Schadensersatzanspruch ab.
In Bezug auf den Kundenstammausgleich bestätigte der TS die Entscheidung des Provinzgerichts, das diesen Anspruch abgelehnt hatte, da der Händler vor dem Hintergrund der Bekanntheit der Marke die Schaffung des Kundenstamms nicht bewiesen habe.
4. Vertraglicher Ausschluss von Schadenersatz und Kundenstammausgleich:
Am Schluss seiner Entscheidung kommt der TS auch noch auf den vertraglich vereinbarten Ausschluss des Schadensersatzes und des Kundenstammausgleichs zu sprechen. Unter Zitierung diverser Urteile bestätigt der TS seine Rechtsprechung und stellt fest, dass der vertragliche Ausschluss jeglicher Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche in einem Händlervertrag zulässig und wirksam sei. Ein solcher Ausschluss begründe sich aus dem allgemeinen Prinzip der Vertragsfreiheit. Indirekt setzt der TS hierbei allerdings voraus, dass ebenfalls eine (ausreichende) Kündigungsfrist vertraglich vereinbart und diese auch eingehalten wurde.
Für einen Handelsvertreter ist ein solcher Ausschluss natürlich nicht zulässig, da die Regelungen von Artikel 28 und 29 Handelsvertretervertrag unabdingbar sind.
Madrid, den 15. Oktober 2009
Mitgeteilt von RA & Abogado Michael Fries, Madrid