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Außerordentliche und fristlose Kündigung wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters

Auch die kurz vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ausgesprochene außerordentliche und fristlose Kündigung wegen einer verbotswidrigen Konkurrenztätigkeit, kann das Vertragsverhältnis beenden und den Ausgleichsanspruch gemäß § 89b Abs. 3 Ziffer 2 HGB dem Grunde nach ausschließen.

Urteil Landgerichts Stuttgart, Az. 15 O 265/16 vom 19.02.2019.

Urteil OLG Stuttgart, Az. 4 U 115/19 vom 20.11.2019.

BGH, Az. VII ZR 288/19, Beschluss vom 07.10.2020.

  1. Zusammenfassung Urteil Landgericht Stuttgart, Az. 15 O 265/16 vom 19.02.2019

Die Parteien schlossen am 18.08.2015 einen Handelsvertretervertrag.

Der Kläger war für den Vertrieb von Herrenprodukten zuständig und unterlag insoweit einem Wettbewerbsverbot. Damenprodukte waren vom Wettbewerbsverbot ausgenommen.

Mit Schreiben vom 29.06.2016 kündigte der Beklagte (Unternehmer) den Handelsvertretervertrag ordentlich zum 31.07.2016 und mit Schreiben vom 27.07.2016 außerordentlich und fristlos wegen Wettbewerbsverstoßes.

Der Kläger forderte einen Ausgleichsanspruch in Höhe von € 67.690,99.

Der Beklagte hat vorgebracht, nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung habe er Kenntnis davon erhalten, dass der Kläger gegen das vertragliche (§ 10 des Handelsvertretervertrages) und gesetzliche Wettbewerbsverbot verstoßen habe. Der Kläger habe entgegen seiner Zusage für die Firma P. I. nur die Damenlinie zu verkaufen auch die Männerlinie der Marke verkauft und vermittelt. Es liege ein schwerwiegender Wettbewerbsverstoß vor, der eine Abmahnung entbehrlich macht. Jedenfalls im Rahmen der Billigkeitsprüfung seien die Wettbewerbsverstöße zu berücksichtigen.

Das Landgericht hat nach umfangreicher Beweisaufnahme durch die Vernehmung zahlreicher Zeugen die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Ausgleichsanspruch bestehe nach § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB nicht, weil der Unternehmer das Vertragsverhältnis wirksam außerordentlich und fristlos aus einem wichtigen Grund wegen schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters gekündigt habe.

Es wurde insbesondere gestützt auf die glaubhafte und nachvollziehbare Aussage des Zeugen O., woraus sich ergeben habe, dass der Kläger bei Vorlage von Preislisten und Produktpräsentationen auch die Männerserie von P. I. bei den Kunden habe vorliegen müssen. Es gab nur einen einheitlichen Verkaufskatalog. Darin liege ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot.

Zwar seien es bei der Erklärung der außerordentlichen und fristlosen Kündigung nur noch wenige Tage bis zum Ablauf der Frist zur ordentlichen Kündigung gewesen und habe der Kläger wohl auch keine Provisionen für diese wettbewerbs-verbotswidrigen Geschäfte erhalten. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass die Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien grundsätzlich erschütterten. Es liege ein heimliches Verhalten des Klägers vor, das die Parteien durch die vertragliche Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots ausdrücklich hätten verhindern wollen. Es sei dem Beklagten auch nicht für wenige Tage zuzumuten, dass ein Handelsvertreter der gegen das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot verstoßen habe weiterhin das Unternehmen gegenüber den Kunden repräsentiere.

Zwar sei grundsätzlich vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung eine Abmahnung erforderlich. Sie sei aber dann entbehrlich, wenn eine so schwerwiegende Vertragsverletzung vorliege, dass eine Abmahnung die Vertrauensbasis nicht wiederherstellen könne. Eine Abmahnung hätte hier das ursprünglich bestehende und durch den Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot zerstörte Vertrauensverhältnis nicht wiederherstellen können, sodass eine in solcher Weise sinnentleerte Abmahnung entbehrlich gewesen sei.

  1. Zusammenfassung Urteil OLG Stuttgart, Az. 4 U 115/19 vom 20.11.2019

Im Wesentlichen wurde gegen das Urteil der I. Instanz vorgetragen, dass das Landgericht die gebotene „doppelte Zumutbarkeitsprüfung“ nicht durchgeführt hätte, denn das Landgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist im vorliegenden Fall zumutbar gewesen wäre, da ja nur noch vier Tage, wovon zwei auf ein Wochenende fielen, betragen hätte. Es sei ja gerade Sinn der doppelten Zumutbarkeitsprüfung diese nicht nur anhand der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag zu bestimmen, sondern einer ordentlichen Kündigung – wenn diese nicht unzumutbar sei – den Vorrang zu geben, da eine außerordentliche Kündigung besonders im Handelsvertreterrecht immer ultima ratio bleiben müsse.

Das OLG ist dem nicht gefolgt und hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.

Entsprechend der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW RR 2011, 614=WM 2011, 620 Rn. Nr. 14 ff., Rn. Nr. 18) im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 28.10.2010 (C203/09, BB2010, 3045) ist § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB, in Folge Artikel 18 a der Richtlinie 86/653 EWG dahin auszulegen, dass der Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung des Unternehmers ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht. Der Unternehmer muss den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet haben.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 89 a Abs. 2 Satz 1 HGB und damit auch im Sinne des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB liegt dann vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, d.h. der Unternehmer darf unter Berücksichtigung aller Umstände eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zumutbar sein (BGH NZE 2009, 312 Rn. Nr. 24; BGH NJW RR 2003, 981 III.).

Soweit Vertragsverletzungen des Handelsvertreters einen wichtigen Grund darstellen sollen muss es sich um schwerwiegende Vertragsverletzungen handeln; diese beschränken das Handelsvertreterrecht in besonderer Weise, weil das Vorliegen eines wichtigen Grundes wegen schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters nach § 89 b Abs. 3 HGB den Verlust des Ausgleichsanspruch die Folge hat.

Erforderlich ist eine doppelte Zumutbarkeitsprüfung: Dem Kündigenden darf es nicht zumutbar sein, das Vertragsverhältnis überhaupt fortzusetzen, und ihm darf darüber hinaus nicht zumutbar sein, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (OLG Düsseldorf Urteil vom 26.05.2017, 16 O 61/16, juris Rn. Nr. 56).

Abwägungskriterien sind unter anderem Art, Schwere und Dauer der Vertragsverletzungen, Vorgeschichte, vermögensrechtliche Folgen für den Gekündigten- auch im Vergleich zur ordentlichen Kündigung, Art und Dauer der bisherigen Zusammenarbeit der Parteien, die bisherigen Leistungen des Kündigenden etc.

Wegen des Charakters der außerordentlichen Kündigung als unausweichlich letztes Mittel zur vorzeitigen Vertragsbeendigung kann ein von dem zu Kündigenden zu beeinflussender Umstand, besonders eine Pflichtverletzung, grundsätzlich erst nach einer Abmahnung die fristlose Kündigung rechtfertigen; die vorherige Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn das Fehlverhalten des Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, dass diese auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wieder hergestellt werden könnte (BGH NJW RR 2003, 981,982; BGH NJW RR 2001, 677, 679).

Aus dem Erfordernis der Unzumutbarkeit die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, folgt dass die Anforderung an den wichtigen Grund umso strenger sind, je näher das Ende des Vertragsverhältnisses aufgrund vertraglicher Befristung oder einer (erstrecht) bereits ausgesprochenen (ordentlichen) Kündigung ohnehin ist (BGH BB 1979, 242=WM 1978, 1128 juris Rn. Nr. 27; 89 a Rn. Nr. 7; MüKKO HGB von Hoyniner-Huehne, 4. Auflage, § 89 a Rn. Nr. 17).

Es sind also unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses an die Vertragsstörung umso höhere Anforderungen zu stellen, je kürzer die Frist bemessen ist, innerhalb derer das Vertragsverhältnis abläuft oder durch die ordentliche Kündigung beendet werden kann.

Geht es um Zuwiderhandlungen gegen ein vertragliches Wettbewerbsverbot oder das gesetzliche Wettbewerbsverbot, das für den Handelsvertreter in der Vertragszeit auch ohne besondere Vereinbarung aus § 86 Abs. 1 S. 2 HGB folgt und eine zentrale Vertragspflicht des Handelsvertreters darstellt, auch wenn keine diesbezügliche ausdrückliche vertragliche Regelung erfolgt ist, so legt die Rechtsprechung einen strengen Maßstab an.

Dabei ist eine unzulässige Konkurrenztätigkeit bereits dann zu bejahen, wenn der Handelsvertreter für einen fremden Unternehmer tätig wird, dessen Angebot sich mit demjenigen des vertretenen Unternehmens teilweise überschneidet (MÜKKO HGB/von von Hoyniner-Huehne § 89 a Rn. Nr. 33/Baumbach Hopft § 89 a Rn. Nr. 19 i.V.m. § 86 Rn. 27; OLG Düsseldorf 1999, 53, juris). Es besteht ein Erfahrungssatz, dass eine ungenehmigte Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters das Vertrauensverhältnis der Vertragspartner regelmäßig so erheblich beschädigt, dass dem Unternehmer eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur für eine kurze Zeitspanne nicht zumutbar erscheint (BGH NJW RR 2001, 677, 679 II.) Trotzdem ist die doppelte Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmen. Wettbewerbsverstöße, die sich bei Würdigung aller Umstände als geringfügig darstellen, rechtfertigen jedenfalls nicht in jedem Fall eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, nicht einmal dann, wenn der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot im Vertrag als Beispiel für einen wichtigen Grund genannt ist (BGH 2011, 608 Rn. Nr. 20).

Die Aushändigung von Katalogen und Preislisten der von der Firma P. I. vertriebenen Produktserie P. I. stellt, entgegen der Ansicht des Klägers, ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot dar, weil in diesen Unterlagen unstreitig auch die Männerserie war.

Konkurrenztätigkeit liegt bereits dann vor, wenn der Handelsvertreter einen Wettbewerber unterstützt und schließt jede Handlung ein, wenn sie mittelbar oder unmittelbar die Interessen eines Konkurrenten stärkt; sie liegt nicht erst im Vertrieb des Konkurrenzprodukts, sondern in jeder sonstigen Hilfeleistung oder Unterstützung des Wettbewerbers und seines Produktes.

Für das schuldhafte Verhalten reicht fahrlässiges Handeln aus.

Die beschriebenen Verstöße des Klägers gegen das Wettbewerbsverbots erfolgten fahrlässig und damit schuldhaft im Sinne von § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB. Der Kläger hat die erforderliche Sorgfalt im Sinne von § 276 Abs. 2 HGB verletzt, da er hätte erkennen können und müssen, dass die Übergabe der Verkaufsunterlagen, insbesondere des Katalogs aufgrund der enthaltenen Männerprodukte ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot darstellt.

Diese schuldhaften Verstöße rechtfertigen die fristlose Kündigung vom 27.07.2016 auch ohne vorherige Abmahnung.

Auszugehen ist von dem Erfahrungssatz des BGH, wonach eine ungenehmigte Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters das Vertrauensverhältnis des Vertragspartners regelmäßig so erheblich beschädigt, dass dem Unternehmer eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur für eine kurze Zeitspanne nicht zumutbar erscheint (BGH NJW RR 2001, 677, 679).

Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass eine Tätigkeit für den Beklagten insgesamt erfolgreich war und die Frist der zuvor ausgesprochenen ordentlichen Kündigung ohnehin vier Tage später abgelaufen wäre, war dem Beklagten eine Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses auch in der extrem kurzen Zeitraum nicht zumutbar. Insoweit kommt es nicht nur auf die absolute Zeitdauer bis zur ohnehin auch ohne fristlose Kündigung eintretenden Vertragsbeendigung an, sondern auch und vor allem auf das Verhältnis zwischen der verbleibenden Zeit und der bisherigen Dauer des Vertragsverhältnisses.

Letztere ist hier mit knapp 15 Monaten recht kurz. Ein eher nahhaltiger und auf Dauer angelegte Wettbewerbsverstoß rechtfertigt danach nach Abwägen aller Umstände die aufgrund des nachhaltigen Vertrauensverlustes eine außerordentliche und fristlose Kündigung aus gegebenem Grund auch ohne Abmahnung und im Hinblick auf die kurze Vertragslaufzeit.

Insbesondere machen die dauerhaften Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot eine vorherige Abmahnung entbehrlich.

Anmerkung:

 Das Urteil des OLG Stuttgarts ist rechtskräftig. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde mit Beschluss des BGH, Az. VII ZR 288/19 vom 07.10.2020 zurückgewiesen.

 Die Urteile des LG und des OLG Stuttgart machen deutlich, dass die wettbewerbswidrige Tätigkeit des Handelsvertreters vor Gericht nach wie vor streng „sanktioniert“ wird. Im vorliegenden Fall gilt dies unter mehreren Gesichtspunkten. Zum einen hat es für die verbotswidrige Konkurrenztätigkeit ausgereicht, dass der Handelsvertreter nur einheitliche Verkaufsunterlagen für Herren- und Damenprodukte präsentieren konnten. Es gab nur einen einheitlichen Verkaufskatalog. Dem Handelsvertreter war es aber untersagt, eine zusätzliche Herrenlinie zu vertreten.

 Sodann war die ordentliche Kündigung zum 31.07. bereits ausgesprochen. Die zusätzlich ausgesprochene außerordentliche und fristlose Kündigung wegen eines wichtigen Grundes erfolgte vier Tage vor Ablauf dieser Frist und es war eine vorausgehende Abmahnung entbehrlich.

 Sicher kann aus den Urteilen keine grundsätzliche Wertung abgeleitet werden. Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, der eine außerordentliche und fristlose Kündigung des Unternehmers und damit den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs rechtfertigt, wird es immer auf eine Abwägung der beiderseitigen Interessen und den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ankommen. Die Entscheidungen machen aber deutlich, dass die verbotswidrige Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters in der Praxis und für die Frage ob ein Ausgleichsanspruch gefährdet ist nach wie vor von großer Bedeutung ist.

Bearbeitet von: RA Thomas Baumann, Gärtner Baumann Rechtsanwälte