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Urteil des Berufungsgerichts in Gdańsk

Die richtige sprachliche und funktionale Auslegung der Bestimmung des Art. 760 des Zivilgesetzbuches schafft eine Norm, die die Ausübung einer Wettbewerbstätigkeit gegenüber dem Auftraggeber verbietet. Die Wettbewerbstätigkeit führt zu einer Verletzung der Treuepflicht, weil die Ausübung einer Wettbewerbstätigkeit eindeutig die wirtschaftlichen Interessen des Auftraggebers gefährden kann. Obwohl das Wettbewerbsverbot während der Laufzeit eines Handelsvertretervertrages nicht direkt durch die Vorschriften des ZGB über Agenturvertrag geregelt wird, ergibt es sich unter Berücksichtigung der normativen Vorlage des Handelsvertretervertrages und des sich daraus resultierenden Charakters des Handelsvertreterverhältnisses aus Artikel 760 des ZGB.

Aus der Begründung des Urteils des Berufungsgerichts Sąd Apelacyjny in Danzig (Gdańsk) vom 26. Mai 2020 (V AGa 21/20)

Der Sachverhalt: Der Kläger – ein Handelsvertreter – klagte auf Zahlung eines Teils seiner Provision. Der unmittelbare Grund für seine Zahlungsklage war die fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrags durch den Auftraggeber, die durch Zusammenarbeit des Klägers mit einem Konkurrenzunternehmen, das gleichartige Waren herstellt, verursacht wurde. Im Laufe des Verfahrens machte der Kläger auch einen Ausgleichsanspruch geltend. Die Klage wurde abgewiesen und der Kläger legte Berufung ein, die ebenfalls abgewiesen wurde.

Meines Erachtens ist das Urteil im vorliegenden Sachverhalt durchaus korrekt, da der Handelsvertretervertrag ein Verbot für den Handelsvertreter vorsah, eine Wettbewerbstätigkeit auszuüben. Ich stimme der oben zitierten Verallgemeinerung in der Begründung des Urteils jedoch nicht zu, dass Artikel 760 des ZGB dem Handelsvertreter die Ausübung einer Wettbewerbstätigkeit verbietet.

Artikel 760 des polnischen ZGB betr. Agenturvertrag:

Jede der Parteien ist zur Wahrung der Loyalität gegenüber der anderen verpflichtet.

Artikel 3 Abs. 1 der Richtlinie:

Bei der Ausübung seiner Tätigkeit hat der Handelsvertreter die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen und sich nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten.

Art. 355 des polnischen ZGB (allgemeine Vorschriften):

Erforderliche Sorgfalt

§ 1. Der Schuldner hat die in Verhältnissen der gegebenen Art allgemein erforderliche Sorgfalt zu beachten (erforderliche Sorgfalt).

§ 2. Die erforderliche Sorgfalt des Schuldners im Bereich der von ihm ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sich unter Berücksichtigung des beruflichen Charakters dieser Tätigkeit.

In der Begründung des Entwurfs der Änderung des ZGB zur Anpassung der Bestimmungen über den Agenturvertrag an die Bestimmungen der Richtlinie wurde darauf hingewiesen, dass es nicht notwendig sei, die Bestimmungen der Artikel 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 der Richtlinie über die Verpflichtung des Handelsvertreters und des Auftraggebers, nach Treu und Glauben und mit der gebotenen Sorgfalt zu handeln, in die Bestimmungen des ZGB aufzunehmen. Diese Verpflichtung ergebe sich – laut der Begründung der Änderung von ZGB – unmittelbar aus den allgemeinen Bestimmungen des Zivilgesetzbuches (Artikel 355). Im Gesetzentwurf wurden diese Regelungen jedoch verstärkt, indem sowohl dem Handelsvertreter als auch dem Auftraggeber eine Pflicht zur gegenseitigen Loyalität auferlegt wurde (Art. 760 ZGB).

Die Begründung des Zwecks der „Verstärkung“ gibt es nicht. Es ist auch – meines Erachtens – unklar, was der Gesetzgeber mit der „Verstärkung” meinte.

Das Wort „loyal“ bedeutet in der polnischen Sprache „aufrecht, treu gegenüber einer legitimen Regierung oder einem König, treu und ergeben gegenüber einer Institution oder Person; ehrlich, aufrecht, zuverlässig im Umgang mit Menschen“. Es ist nicht nur unüblich, mit diesem Wort die Erfüllung von Verpflichtungen im Zivilrecht zu beschreiben. Das Wort „loyal“ wurde im ZGB nur einmal benutzt, nämlich in Artikel 760 ZGB. Es stellt sich eine grundsätzliche Frage: Hätte der polnische Gesetzgeber die Verpflichtung zur „Loyalität“ gegenüber der anderen Partei nicht in die Vorschriften betreffend den Agenturvertrag hineingeschrieben, hätten sich die Parteien des Agenturvertrages „illoyal“ (unehrlich, unzuverlässig) zueinander verhalten können?

In den Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten gibt es ein ausdrückliches Verbot für einen Handelsvertreter, sich an Wettbewerbstätigkeiten zu beteiligen; ein solches Verbot ist beispielsweise im französischen Zivilgesetzbuch (Artikel 134-3) oder im italienischen Zivilgesetzbuch (Artikel 1743) vorgesehen. Dies bestätigt, dass es nicht selbstverständlich ist, aus der allgemein anerkannten Treuepflicht des Vertreters gegenüber dem Auftraggeber (oder: dem Grundsatz von Treu und Glauben) das Verbot von Wettbewerbstätigkeiten des Agenten abzuleiten.

In anderen europäischen Rechtsordnungen, in denen das Gesetz ein Verbot der Wettbewerbstätigkeit des Handelsvertreters während der Vertragslaufzeit nicht ausdrücklich vorsieht, ergibt sich ein solches Verbot auch nicht immer aus der Treuepflicht, oder es wird argumentiert, dass der Ableitung eines solchen Verbots eine Analyse der Umstände des Einzelfalls vorausgehen muss. Dies ist der Fall in Belgien, Dänemark, Portugal und Schweden.

Meines Erachtens darf nach alledem Artikel 760 ZGB nicht als Grundlage des Wettbewerbsverbots ausgelegt werden, weil es nicht selbstverständlich ist, dass jede Wettbewerbstätigkeit die Interessen des Auftraggebers verletzt. Das polnische ZGB enthält die Vorschriften, die dem deutschen Treu und Glauben Prinzip ähnlich wären, nicht.

Bearbeitet von:

adwokat Olga Sztejnert-Roszak, SWKS, Warszawa