Besonderheiten des deutschen Handelsvertreterrechts
- Rechtsfolgen einer unwirksamen fristlosen Kündigung
In Deutschland ist das Vorliegen des wichtigen Grundes Wirksamkeitsvoraussetzung für eine fristlose Kündigung (Emde, Vertriebsrecht, Kommentierung zu §§ 84 -92c HGB, § 89a, Rdnr. 53 m.w.Nw.). Ein Vertrag, der fristlos gekündigt wurde, ohne dass ein wichtiger Grund vorlag, besteht in Deutschland mit allen gegenseitigen Rechten und Pflichten fort (Emde a.a.O.). Eine solche Kündigung ist in der Regel in eine ordentliche Kündigung umzudeuten (BGH NJW-RR 1992, S. 1059 ff. (1060)). Sie beinhaltet zudem regelmäßig das Angebot zur einvernehmlichen Vertragsaufhebung, wobei in Deutschland unbedenklich auf eine unwirksame fristlose Kündigung hin wieder fristlos gekündigt werden kann, weil eine unwirksame fristlose Kündigung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zur fristlosen Gegenkündigung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen berechtigt (BGH DB 1994, S. 833). Die Konsequenz ist, dass nach § 89 Abs. 2 HGB Schadensersatz für entgehende Provisionen bis um ordentlichen Vertragsende verlangt werden kann (BGHZ 122, S. 9 ff.).
Wichtig ist, dass ein Handelsvertreter, der unberechtigt fristlos gekündigt hat oder unberechtigt fristlos gekündigt wurde und seinerseits nicht wieder fristlos gekündigt hat, an sein gesetzliches und/oder vertragliches Wettbewerbsverbot vollen Umfangs gebunden ist und nicht beim Wettbewerb tätig werden darf!
In den anderen europäischen Mitgliedsstaaten beendet unseres Wissens auch eine unbegründete fristlose Kündigung das Vertragsverhältnis, womit die vertraglichen Rechte und Pflichten erlöschen und an deren Stelle ein Schadensersatzanspruch tritt.
- §§ 87a Abs. 2 und 3 HGB
Nach deutschem Handelsvertreterrecht besteht der Provisionsanspruch auch, wenn die abgeschlossenen Geschäfte ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausgeführt werden, wie sie abgeschlossen wurden (§ 87a Abs. 3 Satz 1 HGB). Der Anspruch entfällt nur, wenn die Nichtausführung auf Umständen beruht, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat (§ 87a Abs. 3 Satz 2 HGB). Hierzu gehören nicht
– die verspätete Lieferung (BGH vom 11.07.1960, BB 1960, S. 957),
– die Schlechtlieferungen und Retouren (BGH vom 11.10.1990, DB 1990, S. 2592),
– der Wunsch des Kunden nach Stornierung (BGH vom 01.12.1960, BB 1961, S. 147, vom 11.10.1990, BB 1990, S. 2592),
– das Risiko der Selbstbelieferung und der Arbeitskräfte (BGH vom 13.07.1959, BB 1959, S. 864).
All diese Umstände lassen in Deutschland den Provisionsanspruch nicht entfallen.
Nach § 87a Abs. 2 HGB entfällt der Provisionsanspruch im Falle ausgebliebener Zahlung des Kunden nur dann, wenn feststeht, dass der Kunde nicht leistet. Hierzu gehört grundsätzlich das Einklagen des Zahlungsanspruches durch den Unternehmer und die vergebliche Durchsetzung in der Zwangsvollstreckung (Hopt, Handelsvertreterrecht, § 87a, Rdnr. 15 m.w.Nw.).
Beide Bestimmungen sind gemäß § 87a Abs. 5 HGB unabdingbar. Sie können nicht einmal durch individualvertragliche Vereinbarungen der Parteien im Voraus ausgeschlossen werden. Dies ist ein Grund, warum der Buchauszug in Deutschland einen so hohen Stellenwert hat.
Die Richtlinie sieht in Artikel 11 Absatz 1 vor, dass der Anspruch auf Provision nur erlischt, wenn und soweit feststeht, dass der Vertrag zwischen dem Dritten und dem Unternehmer nicht ausgeführt wird und die Nichtausführung nicht auf Umständen beruht, die vom Unternehmer zu vertreten sind. Diese Bestimmung gilt zwingend (Artikel 11 Absatz 3 der EG-Richtlinie vom 18.12.1986) und gilt nur für die Nichtausführungen. Für nicht geleistete Zahlungen der Kunden konnte und kann es also andere Regelungen geben. Dies ist in vielen Mitgliedsländern der Fall. Italien kennt beispielsweise eine Regelung, wie wir ihn in § 87a Abs. 2 HGB haben nicht und hat sogar eine Regelung, nach der der Handelsvertreter im Falle einer Einigung des Unternehmers und des Kunden, den Vertrag nicht oder nur teilweise auszuführen, lediglich einen reduzierten Provisionsanspruch für den nicht ausgeführten Teil in Höhe einer nach Handelsbrauch gekürzten oder vom Gericht nach billigem Ermessen zu bestimmenden Provision hat (Artikel 1748 Absatz 5 Codice Civile).
- Musterkollektion
Nach zwingendem deutschen Handelsvertreterrecht hat der Unternehmer dem Handelsvertreter auch die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen, unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (§ 86a Abs. 1 HGB). Abweichende Vereinbarungen sind unwirksam (§ 86a Abs. 3 HGB). Die Richtlinie nennt in Artikel 4 Absatz 2a lediglich die Unterlagen, die sich auf die betreffenden Waren beziehen. In Deutschland ist vom BGH mit seiner Entscheidung vom 04.05.2011 (NJW 2011, S. 2423 ff.) der Unterlagenbegriff so definiert worden, dass von ihm alles erfasst wird, was dem Handelsvertreter zur Ausübung seiner Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit – insbesondere zur Anpreisung der Waren beim Kunden – dient, aus der Sphäre des Unternehmers stammt und auf zur Vermittlung oder zum Abschluss der den Gegenstand des Handelsvertretervertrages bildenden Verträge erforderlich ist (BGH a.a.O., S. 2425). Dabei ist der Unterlagenbegriff weit auszulegen und die Aufzählung im Gesetz nur beispielhaft (BGH a.a.O., S. 2425). Deshalb sind in Deutschland Vereinbarungen zum Kauf der Musterkollektionen im Textilhandelsgewerbe unwirksam.
Dies ist unseres Wissens in den anderen Mitgliedsstaaten ebenfalls anders.
- Muss es einen besonderen Gerichtsstand Ingmar geben?
Mit Urteil vom 09.11.2001 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Artikel 17 bis 19 der Richtlinie den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung dergestalt bezwecken, dass die Einhaltung dieser Bestimmungen im Gemeinschaftsgebiet unerlässlich und von so grundlegender Bedeutung ist, dass ein Unternehmer mit Sitz in einem Drittland, dessen Handelsvertreter seine Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausübt, diese Bestimmungen nicht schlicht durch eine Rechtswahlklausel umgehen kann (Urteil des EuGH vom 09.11.2001, HVR Nr. 1019, Ziffern 21 bis 25). Das OLG München führte dazu ergänzend in seinem Urteil vom 17.05.2006 (HVR Nr. 1235) aus, dass es angesichts des Schutzzweckes dieser Eingriffsnorm bereits für die Annahme eines Derogationsverbotes ausreiche, wenn die naheliegende Gefahr bestehe, dass das Gericht des Drittstaates mit einer aus seiner Sicht vertretbaren Rechtsauslegung zwingendes deutsches Recht nicht zur Anwendung bringe (OLG München, a.a.O.).
In Fällen, in denen ein besonderer Gerichtsstand durch vorhandenes Vermögen im EU-Mitgliedsstaat gegeben ist, wie dies bei Ingmar (wohl) der Fall war, stellen sich insoweit keine Probleme. Ist dies aber nicht der Fall, weil kein besonderer Gerichtsstand im Land des Handelsvertreters begründet ist, müsste der Handelsvertreter das Unternehmen an seinem Sitz, d.h. am Sitz des Schuldners verklagen. Würde der Handelsvertreter mangels besonderen Gerichtsstandes hierzu gezwungen, würde Ingmar leer laufen, weil mit dem OLG München davon auszugehen ist, dass das örtliche Gericht am Sitz des Unternehmens im Drittstaat “in aus seiner Sicht vertretbarer Rechtsauslegung” nicht das zwingende Recht des Handelsvertreters werden wird. Es dürfen aber nach der Ingmar-Entscheidung des EuGH die Artikel 17 bis 19 der Richtlinie außereuropäischen Unternehmen mit Handelsvertretern, die innerhalb des Gemeinschaftsgebietes tätig werden, nicht umgangen werden.
Meines Erachtens besteht deshalb hier eine Gesetzeslücke, die durch analoge Anwendung des Artikels 5 Nr. 1a EuGVVO geschlossen werden muss, mit der Konsequenz, dass der Handelsvertreter das Unternehmen an seinem Sitz verklagen kann.